Amtliche Mitteilungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

BAuA 4/1999 S.17

 

Arbeitsbedingungen in Call-Centern


Aktuelle Managementkonzepte betonen die Notwendigkeit einer verstärkten Kundenorientierung und einer Verbesserung der Servicequalität als Voraussetzungen für Unternehmen, um sich im Wettbewerb besser behaupten zu können. Vor diesem Hintergrund ist die zunehmende Verbreitung von Call-Centern zu sehen, bei denen es sich um Unternehmen (bzw. Unternehmensabteilungen) handelt, die als Auftragnehmer für Fremdbetriebe oder für die eigene Firma kundenorientierte Dienstleistungen erbringen (z.B. Telefonauskunft, Bestellannahme, Reklamationsannahme, Beratung, Marketing, Verkauf, etc.).

In vielen Branchen gehören Call-Center bereits zum Standard und Unternehmen gehen zunehmend dazu über, einen 24-Stunden-Service anzubieten. Bei Call-Centern sind EDV und Kommunikation (Telefon) miteinander vernetzt, wobei PC-Arbeitsplätze als Einzelarbeitsplätze, aber oft auch in Form von Großraumbüros organisiert sind. Eingehende Anrufe werden automatisch auf die Arbeitsplätze verteilt und Kundendaten auf den Bildschirm geliefert. Gespräche können zentral nach Dauer, Ergebnis, Richtigkeit der Daten etc. ausgewertet werden.

Unabhängig von der Branche weist die Gestaltung der Arbeitsplätze im Call-Center viele Gemeinsamkeiten auf: Bürotisch, PC, Telefonapparat in Verbindung mit Stellwänden zur Abgrenzung der Arbeitsplätze voneinander bzw. zur Lärmreduzierung. Die Mitarbeiter telefonieren überwiegend mit einem Headset, d.h. einem Kopfhörer, an dem ein Mikrophon befestigt ist. Je nach Branche und Anforderung führen Mitarbeiter, bezogen auf acht Stunden Arbeitszeit, nach bisherigen Erfahrungswerten zwischen 60 bis über 200 Telefonate mit Kunden.

Schon diese kurze Charakterisierung zeigt, dass für Beschäftigte in Call-Centern kombinierte Belastungen vorherrschen, die aus hoch routinisierter Bildschirmarbeit in Verbindung mit Kundeninteraktion resultieren.

Im Unterschied zu Fragen der betriebswirtschaftlichen Optimierung wurden Gesichtspunkte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei der Arbeit in Call-Centern bisher allerdings nur vereinzelt thematisiert.

In diesem Zusammenhang fand am 17.03.1999 eine Informationsveranstaltung im Fachbereich Arbeitsmedizin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin statt, auf der Frau Isic (Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität Frankfurt am Main, E-mail: isic@stud.unifrankfurt.de) aus einer laufenden Studie berichtete. Befragt wurden 250 Beschäftigte aus 14 verschiedenen Call-Centern von Direktbanken und Versicherungen sowie einer Fluggesellschaft. Aus arbeitsphysiologischer Sicht wurden Beanspruchungen, Ressourcen und gesundheitliche Beanspruchungsfolgen bei der Arbeit in Call-Centern untersucht. Die in die Untersuchung einbezogenen Beschäftigten waren überwiegend in sogenannten "Inbound" Call-Centern tätig, in denen eingehende Kundengespräche angenommen werden. Dieser Typus von Call-Center-Arbeitsplätzen ist nach den bisherigen Erfahrungen generell weniger beanspruchend als die sogenannten "Outbound" Call-Center. Dort werden, wie z.B. beim Telefonverkauf, Kunden aktiv vom Call-Center aus angerufen.

Die Handlungsspielräume der Call-Center-Beschäftigten erwiesen sich als deutlich geringer als die der zum Vergleich herangezogenen Verwaltungs- und Bankangestellten. Handlungsspielraum bezieht sich dabei auf Entscheidungsspielräume der Beschäftigten bezüglich der Vorgehensweise bei der Aufgabenbearbeitung, der Reihenfolge einzelner Arbeitsschritte und des Arbeitstempos bzw. der Möglichkeit, nach Bedarf Pausen einzulegen. Aufgrund ihrer geringeren Handlungsspielräume verfügen die Call-Center-Beschäftigten auch über weniger Möglichkeiten, die Wirkung von Belastungen (z.B. hohen Konzentrationsanforderungen) auszugleichen. Dies könnte erklären, warum bei Call-Center-Beschäftigten deutlich mehr gesundheitliche Beschwerden (z.B. Kopfschmerzen, Nackenschmerzen und Einschlafbeschwerden) auftreten als bei den zum Vergleich herangezogenen Bank- und Verwaltungsangestellten.

Gegenüber herkömmlichen Bildschirmarbeitsplätzen sind Arbeitsplätze in Call-Centern durch ' den ständigen Umgang mit Kunden geprägt. Die Beschäftigten sind daher gefordert, Emotionen gezielt einzusetzen, um die Interaktion mit Kunden erfolgreich zu gestalten. So werden die Beschäftigten in Telefontrainings geschult, "mit der Stimme zu lächeln", um auch in schwierigen Kundengesprächen freundlich zu bleiben. In der hier dargestellten Untersuchung stellte sich heraus, dass das psychische Wohlbefinden der Call-Center-Beschäftigten am deutlichsten von emotionaler Dissonanz (Darstellung von Gefühlen, die mit den eigenen nicht übereinstimmen) und emotionaler Sensitivität (Fähigkeit, sich in die Lage des Kunden hineinzuversetzen) beeinträchtigt wurde.

Durch hohe Anforderungen an die Gefühlsregulierung in der Arbeit ("emotionale Arbeit") können langfristig Probleme entstehen, die denen vergleichbar sind, die aus den " helfenden Berufen" (z.B. Pflegebereich) bekannt sind (emotionale Erschöpfung, Burn out).

Es ist zu vermuten, dass Probleme dieser Art nicht nur das Wohlbefinden und die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigen, sondern sich auch negativ auf die Servicequalität auswirken.

Die angeregte Diskussion lässt darauf schließen, dass sich der Arbeits- und Gesundheitsschutz neuen Arbeitsformen zuwenden muss, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Zugleich wurde deutlich, dass - jedenfalls langfristig - eine hohe Servicequalität nicht um den Preis schlechter Arbeitsbedingungen zu erreichen sein wird. Nicht zuletzt Fluktuationsraten von über 50 % pro Jahr in vielen Call-Centern lassen einen hohen Gestaltungsbedarf erkennen. Dieser betrifft neben der Erfüllung ergonomischer Mindestanforderungen das Leitungs- und Kommunikationsverhalten, den Personaleinsatz, Qualifizierung, arbeitsmedizinische Betreuung und berufliche Perspektiven der Beschäftigten.

 

Ansprechportner:
Dipl. - Soz. Michael Ertel
AM 4. 1 " Wirkung von Stress und psychosozialen Faktoren"
TeL: (030) 5154 84 15
E-mail: ertei@baua.de
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